Die Zukunft ist immer anders

In was für einer Welt leben wir? Wir leben in einer Welt, in der in Europa Krieg herrscht. In einer Welt, in der die krisenhaften Situationen immer dichter aufeinander folgen und sich – schlimmer noch – gegenseitig bedingen und überlagern. In einer Welt, in der nichts mehr selbstverständlich erscheint, nicht einmal das respektvolle Miteinander in unserer eigenen Gesellschaft, in der die Demokratie, also das friedliche Aushandeln von Entscheidungen, zunehmend in Misskredit gerät. Hat sich das alles mit einem Schlag verändert? Oder wird uns nur gerade jetzt so schmerzhaft bewusst, dass nichts beständig, nichts verlässlich ist?

Viele von uns erleben unsere Zeit als in höchstem Maße verunsichernd. Wer oder was bietet noch Orientierung, Beheimatung, Sicherheit? Da liegt die Versuchung nahe, Orientierung in der Vergangenheit zu suchen, sich den Herausforderungen und Risiken von Gegenwart und Zukunft dadurch entziehen zu wollen, dass wir eine Welt heraufbeschwören, in der alles scheinbar einfacher, klarer und sicherer war, eine vergangene Welt, von der wir doch eigentlich wissen sollten, dass es sie so nie gegeben hat. Die Zukunft ist immer anders. Selbst wenn wir mit aller Kraft versuchen, uns gegen Veränderungen zu stemmen, wird doch nichts so bleiben können, wie es ist. Wir werden also unsere Gegenwart gestalten, verändern müssen, jeden Tag. Um mitbestimmen zu können, wie unsere Zukunft aussehen wird. Damit das gelingt, damit Verunsicherung, Vereinsamung und Verängstigung nicht die Oberhand gewinnen, braucht es Begegnung und Austausch. Wir müssen (wieder) in der Lage sein, miteinander ins Gespräch zu kommen, einander zuzuhören, unterschiedliche Sichtweisen gelten zu lassen. Wir werden uns aufeinander zubewegen und einlassen müssen.

 

Begegnungsorte 
Für diesen Prozess, für dieses Leben von Gemeinschaft, für diese Schule der Empathie braucht es Orte. Begegnungsorte. Orte, ganz analog. Orte, an denen wir uns sehen und hören. Und als einen solchen Ort verstehen wir das Theater Lüneburg. Mit seinen Mitteln – Sprache, Musik, Körper, Raum – und mit seinen Formen des Erzählens kann es Räume öffnen, in denen wir gemeinsam Vielfalt und Schönheit, Dunkelheit und Schmerz, Gelingen und Versagen, kurz: das menschliche Leben in all seinen Facetten erleben können. Um dieser Ort sein zu können, muss sich aber auch das Theater selbst verändern, sich immer wieder neu auf seine Umgebung, die sich wandelnde Die Zukunft ist immer anders Gesellschaft, neue Herausforderungen und Fragen, große und kleinere Krisen und auf die Menschen, für die es arbeitet, einlassen.

Friedrich von Mansberg - Intendant Theater Lüneburg

Neues wagen 
So wollen wir mit Ihnen gemeinsam die Spielzeit 2024/25 angehen. Voller Stolz auf das Erreichte mutig Neues wagen. Bewährtes und Vertrautes infrage stellen. Andere Wege des Ausdrucks suchen, um Menschen für unsere Arbeit zu interessieren, die das Theater bisher noch nicht als „ihren“ Ort der Begegnung erleben. Und uns dabei als Begegnungsort mit anderen „Orten“ verbinden. Umfangreiche Kooperationen bestehen mit der Musikschule und der Leuphana, mit Schulen und Museen, mit dem Scala Programmkino und der Kunstsammlung Henning J. Claassen, in Zukunft verstärkt mit den Gemeinden des Landkreises und Stadtteilhäusern, mit dem Kulturforum in Wienebüttel, mit Theaterverlagen und Wettbewerben. Uns alle verbindet das Ziel, diese Begegnungsorte zu öffnen, immer wieder neu, immer wieder anders.

Eine Einladung zum Hoffen 
In diesem Sinne ist das vorliegende Heft eine Einladung. Eine Einladung, diesen Ort Theater Lüneburg zu betreten und mit uns gemeinsam zum Leben zu erwecken. Und nicht zuletzt eine Einladung zum Hoffen. „Wie lernt man das Hoffen?“, fragte Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda in seiner Rede zur Eröffnung der Lessingtage 2023. Brosda sagte weiter: „Hoffnung ist immer wieder die Voraussetzung dafür, den nächsten Schritt vorwärtszugehen. Sie erhebt sich über die aktuellen Probleme und schafft einen Bezugspunkt in der Zukunft.“ Das gilt für unser Theater in besonderer Weise. Seine Existenz bleibt bedroht, weil die aktuell zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel nicht ausreichen, seine Zukunft zu sichern. Die nächsten Schritte gehen wir gleichwohl voller Hoffnung.

Lassen Sie uns also gemeinsam hoffen. Und mutig neue Wege gehen – in eine Zukunft, die immer anders ist, in der das Theater Lüneburg aber seinen unverzichtbaren Platz behaupten wird, als Ort der Begegnung und der gemeinsamen Erlebnisse, als Ort der Unterhaltung und der Befragung, als Ort des Lachens und der Trauer. Als ein Ort, der das menschliche Leben feiert, in all seiner Widersprüchlichkeit.

Friedrich von Mansberg
Intendant